Rumänische Klaukinder
BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG 17. Wahlperiode
Drucksache
17/3464
21. 10. 03
Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Klaus-Peter Hesse (CDU) vom 10.10.2003 und
Antwort des Senats
Betr.: Rumänische „Klaukinder“ In den letzten Tagen wurde in den Medien vielfach über so genannte „rumänische Klaukinder“ berichtet. Diese zum größten Teil noch nicht strafmündigen Kinder werden von Menschenhändlern (sog. Patrone) nach Deutschland gebracht und zum Klauen missbraucht. Sie stammen überwiegend aus rumänischen Waisenhäusern oder wurden von ihren Eltern an Kriminelle verkauft. In Deutschland leben sie meistens auf der Straße oder werden in Wohnungen versteckt. Angeblich sind die meisten Kinder der Behörde für Soziales und Familie (BSF) bekannt und sollen schnellstmöglich in ihre Heimat zurückgeführt werden, entweder zu ihren Eltern oder in geeignete Kinderheime. Dies vorausgeschickt, frage ich den Senat: Als rumänische „Klaukinder“ werden von den Medien diejenigen Kinder und Jugendlichen bis zu 16 Jahren mit rumänischer Staatsangehörigkeit bezeichnet, die im Bereich der Eigentumskriminalität straffällig werden. Nach Erkenntnissen des Landeskriminalamtes (LKA) werden rumänische Minderjährige in ihrem Heimatland von älteren Rumänen angeworben, nach Deutschland – und hier gegenwärtig insbesondere nach Berlin und Hamburg – geschleust und zur Begehung von Straftaten bestimmt. Nach polizeilichen Informationen werden die Kinder auch instruiert, sich in Erstaufnahmeeinrichtungen der Jugendhilfe vorzustellen, um eine Unterkunft gestellt zu bekommen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele rumänische Kinder und Jugendliche, die in Hamburg kriminell auffällig sind, sind den zuständigen Behörden in diesem Jahr bekannt geworden? (Bitte getrennt nach Alter, Geschlecht und Delikten der Kinder und Jugendlichen auflisten)
Der Koordinierungsstelle Osteuropäische Eigentumskriminalität (KOST) beim LKA wurden für den Zeitraum 01.01.2003 bis zum 31.08.2003 187 strafrechtlich relevante Sachverhalte gemeldet, die von rumänischen Minderjährigen im Alter bis 16 Jahren begangen wurden. Diese Straftaten wurden nach Ermittlungen der Polizei von insgesamt 65 Personen begangen, davon 49 Kindern und 16 Jugendlichen in der Altersgruppe 14 bis 16 Jahre. Von den 65 Personen waren 59 männlich und sechs weiblich. Ob an anderen Dienststellen der Hamburger Polizei weitere Vorgänge im Sinne der Fragestellung bearbeitet wurden, die der KOST bisher nicht gemeldet wurden, kann in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht festgestellt werden.
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2.
Wie viele rumänische Kinder und Jugendliche sind dem Familieninterventionsteam gemeldet worden und in welchen Einrichtungen der Jugendhilfe wurden bzw. sind sie untergebracht?
Dem Familieninterventionsteam (FIT) sind mit Stand 14.10.2003 insgesamt 56 rumänische Kinder und Jugendliche gemeldet worden. Bei zwölf dieser Jugendlichen haben der Jugendhilfe keinerlei Informationen über ihren Aufenthaltsort vorgelegen; einer war zwischenzeitlich in Untersuchungshaft. 43 der bei FIT gemeldeten Kinder und Jugendlichen sind in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht worden bzw. sind dort noch untergebracht. Dabei handelt bzw. handelte es sich um Erstversorgungseinrichtungen, in die minderjährige unbegleitete Flüchtlinge nach § 42 SGB VIII aufgenommen wurden, um stationäre Jugendwohnungen, in denen die Jugendlichen nach § 34 SGB VIII untergebracht waren, sowie um den Kinder- und Jugendnotdienst, in dem kurzfristige Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII durchgeführt werden. Zurzeit sind noch 17 dieser Jugendlichen in Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht: Unterbringung in stationären Jugendwohnungen nach § 34 SGB VIII – Internationaler Bund (IB) – Kinder- und Jugendhilfe e. V., Sülauhaus Unterbringung in der Erstversorgungseinrichtung nach § 42 SGB VIII – Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB)
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26 Jugendliche, die zuvor in einer Einrichtung der Jugendhilfe untergebracht waren, halten sich dort nicht mehr auf. Ihr Aufenthalt ist der für die Jugendhilfe zuständigen Behörde derzeit nicht bekannt. 3. Gab es bisher Aussagen rumänischer Kinder über Misshandlungen durch die „Patrone“ gegenüber der Hamburger Polizei? Wenn ja, wie viele und mit welcher Schilderung der Misshandlungen?
Ja, der Polizei sind derartige Aussagen bekannt. Im Einzelnen sind sie Bestandteil in Ermittlungsverfahren. In den Jahren 2001 und 2002 wurden der Polizei vier Aussagen von rumänischen Jugendlichen über körperliche Misshandlungen bekannt, außerdem Drohungen mit Vergewaltigung und Prostitutionsausübung sowie in einem Fall eine Tötungsdrohung durch sog. Hintermänner. Die Misshandlungen sollen dabei als Sanktionen eingesetzt worden sein, wenn die geforderte Höhe des Stehlgutes nicht erreicht werden konnte bzw. die Jugendlichen zu häufig bei den Straftaten festgenommen wurden. 4. Auf welcher rechtlichen Grundlage werden die Kinder zurückgeführt?
Die Rückführung der nach ausländerrechtlichen Bestimmungen entweder kraft Gesetzes oder aufgrund negativ beendeter ausländer- oder asylrechtlicher Verfahren vollziehbar ausreisepflichtigen rumänischen Kinder und Jugendlichen erfolgt auf Grundlage von § 49 des Ausländergesetzes (AuslG). Hierbei steht eine mangelnde ausländerrechtliche Handlungsfähigkeit der Minderjährigen der Durchführung der Abschiebung nicht entgegen (§ 68 Abs. 2 AuslG). 5. Wie viele Kinder und Jugendliche wurden in diesem Jahr nach Rumänien zurückgeführt?
In diesem Jahr wurden bisher neun Kinder und Jugendliche, die im Zusammenhang mit Diebstählen auffällig geworden waren, zurückgeführt.
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6.
Ist gewährleistet, dass die Kinder in Rumänien in geeignete Einrichtungen kommen? Wenn ja, wie?
Über die Deutsche Botschaft in Bukarest in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Innenministerium sowie einem ausgewählten Kinderheim kann gewährleistet werden, dass die Kinder in Rumänien in geeigneter Art und Weise untergebracht bzw. schnellstmöglich wieder ihren Eltern übergeben werden. 7. Welche nationalen und grenzüberschreitenden Maßnahmen sollen ergriffen werden, um gegen „Patrone“, Hintermänner und kriminelle Organisationen vorzugehen?
Die Polizei ergreift bei entsprechendem Anfangsverdacht konsequent die zur Bekämpfung der Kriminalität von Hintermännern zur Verfügung stehenden Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Die grenzüberschreitenden Maßnahmen richten sich nach den Bestimmungen der internationalen Rechtshilfe. Bei den bundesweiten Maßnahmen liegt der Schwerpunkt im Informations- und Erkenntnisaustausch der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamtes. Konkrete Ermittlungsmaßnahmen sind abhängig von den Gegebenheiten des jeweiligen Strafverfahrens. Die Polizei Hamburg hat zur Bekämpfung des Phänomens osteuropäischer Kriminalität eine Ermittlungsgruppe (EG 032) mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingerichtet, die mit sechs Kriminalbeamten ausgestattet ist. Herausragendes Ziel dieser EG ist, unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten, der Kriminalität rumänischer Minderjähriger und deren Hintermännern zu begegnen. 8. Gibt es Erfahrungswerte mit anderen Großstädten – z. B. Köln und Berlin – und einen Informationsaustausch mit anderen Bundesländern bzw. Dienststellen des Bundes zu diesem Problembereich? Wenn ja, wie wird in diesen Städten/Bundesländern mit dieser Problematik umgegangen?
Hinsichtlich des polizeilichen Informationsaustausches mit anderen Bundesländern sind in diesen und beim Bundeskriminalamt Koordinierungsstellen „Osteuropäische Bandenkriminalität“ eingerichtet worden. Es gab darüber hinaus einen Informationsaustausch mit den zuständigen Fachkräften in Berlin und Köln. Hierzu liegen Erkenntnisse aus Berlin vor, wo es nach konsequenten Rückführungen der rumänischen Minderjährigen in ihr Heimatland zu einer Entspannung der Situation gekommen sei. In Berlin gibt es nach Einschätzung dort befragter Fachleute kein akutes Problem mit rumänischen Kindern und Jugendlichen, die als „Klaukinder“ auffällig werden. Vom 01.01. bis 14.10.2003 sollen lediglich 15 rumänische Kinder und Jugendliche bei der Erstaufnahme und Clearingstelle in Berlin gemeldet worden sein. Probleme mit straffälligen rumänischen Kindern und Jugendlichen habe es Mitte bis Ende der 90er Jahre gegeben. Der Rückgang der Fallzahl wird einerseits auf eine intensive kriminalpolizeiliche Bekämpfung der Bandenkriminalität („AG RumBa“, Arbeitsgruppe Rumänische Bandenkriminalität) und andererseits auf konsequente Rückführungen zurückgeführt. Darüber hinaus habe das Landesjugendamt Berlin mit einer Berliner Stiftung und freien Trägern der Jugendhilfe in Rumänien eine verbindliche Kooperation abgeschlossen mit dem Ziel, rumänische Kinder und Jugendliche zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt freiwillig zur Rückkehr zu bewegen und dort in Jugendhilfestrukturen zu integrieren. Nach Abschluss des Kooperationsvertrages in 2001 habe dann lediglich ein Jugendlicher in eine Jugendhilfeeinrichtung nach Rumänien zurückgeführt werden können. In Köln – so die Auskunft dort zuständiger Stellen – seien in 2003 keine straffällig gewordenen rumänischen Kinder und Jugendlichen gemeldet worden. Probleme mit rumänischen Kindern und Jugendlichen habe es insbesondere Mitte der 90-er Jahre gegeben. Über den Internationalen Sozialdienst (ISD) in Frankfurt sei zunächst geklärt worden, ob die Flüchtlinge zu ihren Eltern nach Rumänien zurückkehren können. Sei dies nicht der Fall gewesen, so seien sie nach Rumänien zurückgeführt, dort von Mitarbeitern des Innenministeriums in Empfang genommen und in Einrichtungen untergebracht worden. Die Kinder und Jugendlichen seien in der Regel unfreiwillig durch die dortige Ausländerbehörde zurückgeführt worden.
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9.
Wie soll verhindert werden, dass weitere rumänische Kinder nach Hamburg geschleust werden?
Eine konsequente Rückführung dieses Personenkreises soll dazu beitragen, den Anreiz zur Schleusung dieser Minderjährigen nach Hamburg zu mindern. Die Polizei Hamburg prüft derzeit in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und weiteren zuständigen Stellen Möglichkeiten, die Schleusung bereits in Rumänien zu verhindern.
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